Natürlich hatte Alexander Wiegand Zweifel vor dem radikalen Schwenk. In dritter Generation führt er das Unternehmen seiner Vorfahren, die Wika-Gruppe. Und immer ging es voran. In mehr als 60 Jahren ist die Firma aus Klingenberg aufgestiegen zum Weltmarktführer für Druck- und Temperaturmessgeräte - bester Maschinenbau "made in Germany". Und doch hat Wiegand begonnen, alles in seinen Werken infrage zu stellen. Wirklich alles.
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FTD/ Viola Bianchi |
Kaizen bedeutet im Wesentlichen, Arbeitsprozesse zu optimieren, Überflüssiges wegzulassen, Verschwendung zu vermeiden, kurz: Zeit und Geld zu sparen. Seit einem Vierteljahrhundert zählt Kaizen - auch bekannt als Lean Management oder Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) - zum Repertoire der großen Managementtheorien. Entwickelt in den Werken des Autobauers Toyota, beeinflusst die Theorie seither Unternehmenslenker in aller Welt. Autohersteller wie Porsche oder Daimler haben ihre Prozesse danach ausgerichtet, Bahlsen produziert Kekse nach Kaizen, Ritter Schokolade. Sogar Kliniken, Gerichte und Banken folgen der Toyota-Lehre. Gerade in der aktuellen Krise hat sich das bei vielen ausgezahlt. Kaizen kann Unternehmen wettbewerbsfähiger machen - oder zerrütten. Je nachdem.
Alexander Wiegand hat vor acht Jahren mit Kaizen begonnen - und nutzt seitdem den ganzen ethodenbaukasten: spezielle trategieworkshops, Qualitätsveranstaltungen, Six-Sigma-Methode, die fünf S-Bewegungen. Zuerst arbeitete er mit der US-Beraterfirma TBM zusammen, heute kümmert sich eine eigene Abteilung mit acht Mitarbeitern darum.
Die Experten moderieren vor allem die einwöchigen Workshops, von denen jede Woche zwei bis drei stattfinden. Nach strukturierten Mustern erarbeiten je fünf bis zehn Mitarbeiter selbst Vorschläge, wie ihre Arbeit einfacher, schneller oder billiger zu erledigen wäre, ganz konkret. Sind die Abläufe gut organisiert? Wird das Material richtig eingesetzt? Welche Handgriffe sind vielleicht überflüssig? Am Mittwoch und Donnerstag der Workshopwoche stellen sie die Produktionslinie in ihrer Werkhalle entsprechend um, am Freitag präsentieren sie ihre Ergebnisse den Kollegen und dem Management.
Es ist ein radikaler Ansatz, der für viel Unruhe sorgt. "Für viele Mitarbeiter ist es ein Schock, wenn in einer Woche jahrelang entstandene Prozesse über den Haufen geworfen werden", sagt Wiegand. Daher sei es so wichtig, dass die Erfolge schnell sichtbar seien und vom Management gefördert würden. Auch der Zeitdruck unterdrücke die Beharrungskräfte. "Manchmal muss es quick and dirty gehen."
Für Wika war Kaizen ein Kulturbruch. "Das Konzept passt eigentlich nicht zur deutschen Mentalität", sagt Wiegand. "Ich hatte Zweifel, ob es bei uns wirklich funktioniert. Aber es passt." Um 15 Prozent soll die Produktivität der jeweiligen Einheit durch den Workshop steigen. Manchmal reichen die Ideen dafür nicht, meistens schon. Und manchmal seien es sogar 30 bis 40 Prozent, sagt Wiegand. In jedem Jahr seit Start des Programms habe sich die Ebit-Marge von Wika um ein Prozent verbessert. 2009, als wegen der Krise die Umsätze von 516 auf 455 Mio. Euro einbrachen, war das Gold wert: "Ohne Kaizen würde es uns heute nicht mehr geben", sagt Wiegand. Nun will er das Prinzip weiter ausdehnen, auf schlanke Büroarbeit.
Es sind solche Geschichten, die die Toyota-Lehre für Unternehmen aus allen Branchen so attraktiv machen. Die Grundprinzipien sind immer gleich: null Fehler, null Verschwendung, mehr Wertschöpfung. Nur die Umsetzung ist oft schwierig.
"Es geht nicht darum, das Prinzip der Japaner einfach zu kopieren", warnt Eberhard Weiblen, Chef von Porsche Consulting. Je nach Unternehmenskultur gebe es immer Unterschiede in der Methodik und im Umgang mit den Mitarbeitern. Weiblen weiß, wovon er spricht. Seit 15 Jahren verkauft die Beratungstochter des Autobauers das einst in Japan erworbene Wissen über schlanke Prozesse, inzwischen an 150 Unternehmen pro Jahr. Die Erkenntnis: Kaizen kann helfen - muss aber nicht.
Oft scheitere ein Erfolg schon an der Chefetage, sagt Weiblen. Der Vorstand müsse die Veränderung wirklich wollen und unterstützen. In den Zielvereinbarungen und Bonussystemen der Führungskräfte sollten die neuen Ideen verankert sein. "Oft müssen die Unternehmen dafür erst individuelle Kennziffern entwickeln", sagt Weiblen. Ein Angestellter der Personalabteilung könne wenig mit dem Ebit anfangen, aber viel mit der Durchlaufzeit einer Bewerbung.
Die Unternehmen sollten mit einfachen Projekten starten, um rasch Erfolge vorweisen zu können - und so intern für Ruhe und Motivation zu sorgen. "Es muss schnell gelingen, Mitarbeiter und Betriebsrat zu gewinnen", rät Weiblen.
Dass es auch schiefgehen kann, zeigt das Beispiel Schöck Bauteile. Der Mittelständler aus Baden-Baden ist Spezialist für Baukomponenten wie Wärme- und Schallisolierungen. Lange hatte das Unternehmen quasi eine Monopolstellung in dem Segment, dann wuchs der Konkurrenzdruck, und Schöck drohte der Absturz. Auf eigene Faust hat die Geschäftsführung begonnen, Kaizen-Prinzipien umzusetzen. Auf Zettelchen und auf Flipcharts in der Montagehalle konnten die Mitarbeiter Verbesserungsvorschläge anbringen. "Es sollte um Himmels willen einfach sein", sagt Geschäftsführer Harald Braasch.
Doch der neue Ansatz funktionierte längst nicht überall so reibungslos wie in der Produktion in Baden-Baden. Dort seien die Mitarbeiter stolz auf das Erreichte, die Produktivität habe sich erheblich verbessert, sagt Braasch. In der Verwaltung und in den Werken in Ungarn, Polen und Halle klemme es dagegen gewaltig. "Die Mitarbeiter haben dort zwar genug Vorschläge gemacht, aber die Werksleitung hat nicht genug Mittel bereitgestellt, um sie umzusetzen." Das Projekt scheiterte zunächst, die Unzufriedenheit war groß. "Wir haben nicht aufgegeben, aber es dauert noch", konstatiert Braasch. Grundsätzlich will er aber an Kaizen festhalten: "Es ist nach wie vor der Königsweg. Niemand kennt seinen Arbeitsplatz so gut wie der, der draufsitzt."
Quelle: Financial Times
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