Sonntag, 9. Januar 2011

Vom Sinn und Unsinn der Zertifizierung

Allein mit „Made in Germany“ kommt man nicht mehr weit. Der Markt für Gütesiegel wächst und wächst. Darüber freuen sich vor allem diejenigen, die mit Qualitätsmanagement und Zertifizierung ihr Geld verdienen.

Diplom-Ingenieur Friedhelm Wirxel, der früher in der Fertigungskontrolle bei Westfalia Separator in Oelde tätig war, sieht die Ursprünge der Qualitätssicherung bereits im Beginn des industriellen Zeitalters. Und in der Industrie mache Zertifizierung auch Sinn. „Bei weltweit operierenden Firmen muss man sicherstellen, dass der Autoschlosser in Sibirien nach dem gleichen Standard arbeitet, der am Unternehmenssitz in Deutschland üblich ist“, erklärt Wirxel. Und fügt weiter hinzu: „Das Erfassen von Fehlern hat dazu geführt, dass die Leute mit ihren Autos nicht mehr so oft in die Werkstatt müssen wie vor 20 Jahren.“ Aber selbst Friedhelm Wirxel, der ein echter Fan von Messtechnik ist, meint, dass inzwischen „vieles überzogen ist“.


Und auch zu teuer - insbesondere für kleinere Unternehmen. „Bei einem Betrieb mit acht Beschäftigten kostet die Zertifizierung je nach Produkt zwischen 10 000 und 50 000 Euro.“ Dazu kämen viel zu enge Überwachungsintervalle. „Das ist ein Riesenaufwand, der alle zwei bis drei Jahre durchgeführt wird.“

Noch weniger Sinn macht es aus Sicht von Wirxel, die Zertifizierung auf Rathäuser, Volkshochschulen und ähnliche Einrichtungen auszuweiten. „Ein Rathaus zertifizieren zu lassen, ist Unsinn.“ Schließlich gebe es einen Rat, der auch Überwachungsorgan sei. „Aber viele wollen keine Verantwortung übernehmen und haben Angst, dass ihnen einer an die Karre fährt.“ Deswegen stelle sich kaum einer der überzogenen Lust am Dokumentieren entgegen.

Und dann käme noch ein besonderes Problem dazu: „Wir Deutschen wollen halt alles geregelt haben. Dickköpfigkeit und Angst führen dazu, jeden Prozess pingelig zu prüfen.“ Viele Zulieferer in der Industrie hätten allerdings kaum eine Alternative, räumt Wirxel ein: „Sie müssen sich zertifizieren lassen, weil sie sonst oft keine Aufträge mehr erhalten.“

Aber selbst die Volkshochschulen sind verpflichtet, sich zertifizieren zu lassen, wie Rolf Zurbrüggen, Leiter der VHS Warendorf, erläutert. Das sei mit einem „enormen Dokumentationsaufwand“ verbunden. Die VHS Warendorf wurde 2005 zum ersten Mal zertifiziert. „Aber wir haben auch vorher anständige Arbeit abgeliefert“, unterstreicht Zurbrüggen. Gerade bei den Volkshochschulen gebe es seit Jahrzehnten ein ausgefeiltes Berichtssystem. „Trotzdem hat die Zertifizierung noch weitere Verbesserungen bewirkt - etwa die Dokumentation über Beschwerden.“ Durch das Qualitätsmanagement setze man sich eben kritischer mit Prozessen auseinander. Allerdings sei der Fehler gemacht worden, Zertifizierung mit Qualität gleichzusetzen. „Ein zertifizierter Betrieb muss aber nicht unbedingt Qualität liefern“, unterstreicht Zurbrüggen. Denn es gehe am Ende nur darum, Prozesse zu beschreiben. „Man kann auch eine Schwimmweste aus Beton herstellen und sie dann zertifizieren lassen.“
VON BEATE KOPMANN, WARENDORF
Quelle: Ahlener Zeitung

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