Sonntag, 15. August 2010

Kühle Köpfe für Klimaanlagen

Globales Lieferanten- und Qualitätsmanagement bei Behr

Der Zulieferer Behr fertigt
unter anderem Kühlsysteme
 für Nutzfahrzeuge
Mit einem webbasierten Lieferantenportal hat Behr, Spezialist für Fahrzeugklimatisierung und Motorkühlung, die Effizienz seiner Einkaufsprozesse deutlich gesteigert. Lieferanten- und Qualitäts- management in allen Phasen der auf die ganze Welt verteilten Produktion greifen ineinander.

Wer sich heute im anspruchsvollen Automotive-Umfeld bewegt, braucht geeignete Rahmenbedingungen für schlanke Prozesse. Als Tier-1-Lieferant richtet der Automobilzulieferer Behr GmbH & Co. KG, Stuttgart, seine Einkaufsprozesse seit Jahren kontinuierlich neu an geänderten Anforderungen aus. Eine zentrale Online-Plattform ist die Basis für das globale Zusammenspiel von Einkauf, Qualität sowie den Lieferanten der Behr-Gruppe und damit eine wesentliche Voraussetzung für Schnelligkeit und mehr Effizienz.

Wie die meisten großen Zulieferer hat auch der Spezialist für Fahrzeugklimatisierung und Motorkühlung ein globales Geflecht aus Entwicklungsstandorten, Produktionsnetzwerken und Beteiligungsgesellschaften – und entsprechend anspruchsvollen Geschäftsprozessen. Als Schnittstelle zwischen Entwicklung, Qualitätswesen und den Lieferanten ist der Einkauf dadurch besonders gefordert.

Als viele andere Industrien gerade ihre ersten Gehversuche mit E-Sourcing, E-Auctions oder standardisierten Reklamationsprozessen unternahmen, waren diese im Automotive-Bereich bereits vielerorts fixe Bestandteile des Einkaufsalltags. „Wir haben vor Jahren mit der Optimierung unserer Geschäftsprozesse und der sukzessiven Einbindung der Lieferanten in unsere Entwicklungs- und Beschaffungsprozesse z. B. per EDI/WebEDI begonnen, um gemeinsam die Prozess- und Kostenoptimierung voranzutreiben", blickt Torsten Dehner, Einkaufsleiter bei Behr, zurück.

Bereits im Jahr 2002 wurde eine webbasierte Marktplatzlösung implementiert, die in den Jahren danach als globale E-Sourcing- Plattform für RFQs und Auktionen aufgebaut wurde. Mit der fortschreitenden Globalisierung des Unternehmens sowie dem stark umkämpften Wettbewerbsumfeld in der Automotive-Branche hatten sich jedoch die Anforderungen des Einkaufs verschärft. Insellösungen reichten nicht mehr aus.

„Komplexe Aufgaben erfordern klare Lösungen, nicht nur in der Technik, sondern genauso in der Gestaltung der Prozesse", bestätigt auch Torsten Dehner und ergänzt: „Rasch und vollständig verfügbare Informationen sind die Basis für eine funktionierende Kommunikation nach innen und außen sowie für effiziente Abläufe. Und diese wiederum sind unabdingbar, um die Produktivität unseres Einkaufs im globalen Zusammenspiel auch unter schwierigen Bedingungen zu sichern."

In der Automobilindustrie ist die Qualitätsvorgabe der OEM heute mehrheitlich klar: „0 ppm". Durch die Zertifizierungen nach ISO/TS 16949:2002, DIN EN ISO 9001 und QS 9000 sowie regelmäßige Kundenaudits stellt Behr seinen eigenen hohen Qualitätsanspruch unter Beweis. „Um diesen in der Praxis umzusetzen, müssen Einkäufer, Techniker, Qualitätsmanager und die Lieferanten zusammenspielen." – Behr wolle mit der zentralen Online-Plattform geeignete Rahmenbedingungen dafür bieten, so Dehner. Die Komplexität der Abläufe verdeutlicht das einfache Beispiel des Einkaufs der Komponenten für eine Klimaanlage, die für einen Automobilhersteller an verschiedenen Orten der Welt gefertigt wird: Während die Verantwortung für den Projekteinkauf und das präventive Qualitätsmanagement am Entwicklungsstandort in Europa liegt, erfolgen der operative Einkauf sowie das Qualitätsmanagement in der Serie hingegen an den jeweiligen Fertigungsstandorten in Asien, Europa, Südafrika und Südamerika. Die Lieferanten stammen aus den unterschiedlichsten Orten der Welt. Daher beginnt das globale Lieferantenmanagement bei Behr bereits im Lieferantenauswahlprozess. Audits, Erstbemusterungen vor Serienstart, die eingehende Prüfung von Produkt- oder Prozessänderungen sowie regelmäßige, standortübergreifende Lieferantenbewertungen sind feste Bestandteile im Qualitätsmanagement von Behr.

Kritischer Freigabeprozess

Um sicherzustellen, dass ein zukünftiger Partner diesen Anforderungen genügt, muss jeder Lieferant, der es auf die Global Supplier List von Behr schaffen möchte, einen kritischen Freigabeprozess durchlaufen. Um diesen weltweit zu steuern, wurde ein mehrstufiger Workflow für die Lieferantenregistrierung und -qualifizierung spezifiziert und im Online-Portal umgesetzt. „Der Workflow ist entsprechend komplex, da er zum einen interdisziplinär zwischen Einkauf, Qualität, Logistik und Buchhaltung und zum anderen auch interorganisational, also entsprechend der Matrixorganisation von Behr, gesteuert wird", erklärt Georg Rösch, Projektleiter für das Lieferantenmanagement bei der Selected Services GmbH, Wien, die das webbasierte Lieferantenportal Pool4Tool anbietet.

Nachdem der Lieferant auf Einladung von Behr seine Daten, u.a. Technologien, Zertifikate und Prozesse, selbst am Portal eingetragen hat, werden die Informationen gemäß der im System hinterlegten Materialgruppenstruktur direkt an den zuständigen Lead Buyer der jeweiligen Region weitergeleitet. Anschließend prüfen das Qualitätsmanagement sowie die Finanzbuchhaltung die Eignung des Bewerbers, bevor eine Freigabe erteilt wird. Dies ist notwendig, da die Lieferanten von Behr einen großen Teil des Entwicklungs-Know-hows komplexer Systeme tragen und eng in Einkaufs- und Qualitätsprozesse eingebunden sind.

Zur erfolgreichen Umsetzung müssen Lieferanten- und Qualitätsmanagement in allen Phasen des Produktentstehungsprozesses ineinandergreifen. Daher ist die frühzeitige Zusammenarbeit mit den Lieferanten in der Qualitätsplanung (APQP – Advanced Products Quality Planning) ein ebenso fixer Bestandteil der Einkaufspolitik wie das anschließende Verfahren der Produkt- und Prozessfreigabe der Kaufteile. Beide Prozesse werden nun über das Lieferantenportal einheitlich geplant, gesteuert und abgearbeitet.

Dabei greifen sowohl Kunden als auch Lieferanten online auf denselben Datenbestand zu, sodass Mehrfacheingaben oder redundante Informationen vermieden werden. Das Resultat ist eine Plattform, die als System für das Lieferantenmanagement im Konzern die zentrale Drehscheibe für alle Anlagen und Änderungen von Lieferantenstammdaten ist, wobei Änderungen auch vom Lieferanten selbst initiiert und workflowbasiert über definierte Rollen durch die jeweils verantwortlichen Behr-Mitarbeiter freigegeben werden können. Da diese Lieferantenstammdaten nicht nur rechnungswesenspezifische, sondern auch einkaufs-, logistik-, entwicklungs- und qualitätsrelevante Informationen beinhalten, ist erstmalig tatsächlich von einem zentralen, abteilungs- und standortübergreifenden System die Rede.

Die E-Sourcing-Lösung verfügt über zahlreiche Möglichkeiten für Ausschreibungen und Auktionen. „Die Behr-spezifische Materialgruppe ist die zentrale Grundlage für Ausschreibungen, das heißt für die Abbildung der globalen bzw. regionalen Bidderlisten sowie für die im System hinterlegten Anfragestrukturen für standardisierte RFQs", erklärt Torsten Dehner. „Damit finden die Daten aus dem Lieferantenmanagement direkt im E-Sourcing Anwendung. Das bedeutet z.B. dass im SRM-Modul gesperrte Lieferanten automatisch auch von materialgruppenspezifischen E-Sourcing-Aktivitäten ausgeschlossen werden."

Vordefinierte Standarddokumente und fertige Templates für materialgruppenspezifische Cost Breakdowns und TCO-Berechnungen, die bei Bedarf einfach modifiziert werden können, entlasten die Einkäufer von wiederkehrender, ressourcenintensiver Arbeit. Diese können nun alle vergaberelevanten Faktoren, nicht nur Preise und Konditionen, in einen Angebotsvergleich mit einbeziehen und Vergabeszenarien online durchspielen. Damit wird die Vergabe an jene Lieferanten sichergestellt, die den größten Nutzen für das eigene Unternehmen erbringen. Indem alle Angebote aus einer Ausschreibung auch direkt in eine nachgelagerte E-Auction überführt werden können, setzt Behr minimale Einkaufspreise durch.

Hohe Transparenz – kurze Entscheidungswege

Die Bilanz des Einkaufsleiters sieht so aus: „Die Zeitersparnis in allen Phasen des E-Sourcing-Prozesses ist beträchtlich. Die hohe Transparenz verkürzt die Entscheidungswege deutlich. Durch die Einbindung von Qualität und Logistik in den RFQ-Setup-Prozess auf Basis eines speziellen Workflows werden wir die Effizienz unserer Einkaufsprozesse weiter steigern. Indem wir die Schnittstellen zwischen den Abteilungen, Standorten sowie zu den Lieferanten reduzieren, Prozesse standardisieren und damit schlank halten, erzielen wir jene Effizienz, die wir für einen erfolgreichen Einkauf benötigen", so Torsten Dehner. Der hohe Standardisierungsgrad erhöht zudem die Prozesssicherheit (z.B. bei der vollständigen Anlage einer Anfrage). Transparente Abläufe im Lieferantenmanagement sind die Basis für nachvollziehbare Entscheidungsgrundlagen und kurze Prozesszeiten.

Der Einkaufsleiter ist überzeugt, dass ein global aufgestelltes Unternehmen eine Online-Plattform als zentrale Kommunikations- und Datendrehscheibe braucht. Bei aller Standardisierung und Automatisierung dürfe jedoch keinesfalls die persönliche Kommunikation vergessen werden, die ebenso wesentlich für die Weiterentwicklung einer Supply Chain ist. dz

Mehrstufige Matrix

Der Einkauf von Behr mit einem jährlichen Einkaufsvolumen von mehr als 1,5 Mrd. Euro ist als mehrstufige Matrix organisiert. Die globale Einkaufsstrategie sowie Standards, Methoden und Tools der Einkaufsprozesse obliegen weltweit der zentralen Gruppenfunktion, die ebenfalls den weltweiten Einkauf der sogenannten Lead-Buying-Komponenten, den hochwertigsten Teilen des Portfolios (z.B. Gebläsemotoren und -regler, Lüfter oder Aktuatoren), sowie von Rohstoffen/Halberzeugnissen direkt verantwortet. In der nächsten Ebene werden alle Einkaufsaktivitäten einer Region (z.B. Europa) durch die regionalen Einkaufsleiter geführt, die wiederum an die zentrale Gruppenfunktion berichten. Auf regionaler Ebene wird der Projekteinkauf für Klimatisierung und Kühlung sowie der Materialgruppeneinkauf für sogenannte Nicht-Lead-Buying-Teile (z.B. Stanzteile, Kunststoffspritzgussteile) von zuständigen Einkaufsleitern standortübergreifend geführt. Diesen obliegen in ihrem regionalen Verantwortungsbereich – ähnlich wie den Lead-Buyern in der Gruppenfunktion auf weltweiter Ebene – sämtliche Sourcing-Aktivitäten, Preisverhandlungen, Vergaben sowie die Führung der Lieferanten. dz
Quelle: Beschaffung aktuell

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