Sonntag, 20. Juni 2010

Jack Welch: Gnadenloser Antreiber

Als Chef von General Electric prägte Jack Welch ganze Generationen von Managern. Unter seiner Führung ordnete der Elektoriese alles dem Shareholder Value unter - und setzte damit Maßstäbe in der Managementpraxis. Inzwischen haben viele seiner drastischen Methoden ausgedient.


ATLANTA, 10.06.10 . Womit beschäftigt sich eine lebende Managerlegende im Ruhestand? Sie schreibt Bücher. Zieht durch Talkshows. Lässt sich zu kurzen Gastauftritten in TV-Serien hinreißen. Und sie twittert über ihren jüngsten Kneipen-Besuch und über Wohl und Wehe des Bostoner Baseball-Teams Red Sox.


Die Rede ist von Jack Welch, dem berühmten und für seine Härte berüchtigten ehemaligen Chef von General Electric. 20 Jahre lang, von 1981 bis 2001, lenkte Welch äußerst erfolgreich die Geschicke von GE. Der heute 74-Jährige war der Superstar von Corporate America, eine Industrie-Ikone, verehrt und gehasst. Medien und Mitarbeiter nannten ihn "Neutronen Jack" - wegen seines Mantras der radikalen Markt- und Gewinnorientierung. Ihm opferte er Zehntausende von Arbeitsplätzen. Er galt als Papst des Shareholder Value, der kompromisslosen Ausrichtung aller unternehmerischer Entscheidungen auf den Nutzen für die Aktionäre. Die Wall Street feierte ihn, weil er Quartal für Quartal die Prognosen der Analysten jedesmal übertraf.

1999 kürte ihn das Wirtschaftsmagazin "Fortune" zum "Manager des Jahrhunderts". Sieben Jahre später, angekommen in einem neuen Jahrtausend, titelte dasselbe Blatt: "Sorry, Jack!". Das Magazin verkündete, Welchs eiserner Führungsstil habe ausgedient.

Wirklich? Immerhin ist der "Welch Way" und sind Welchs Management-Methoden längst eingegangen in die Lehrbücher für MBA-Studenten. Sie sind Fallbeispiele für Best und für Worst Practice. Zum Beispiel das Prinzip von "Fix, Close or Sell" - dem Reformieren, Schließen oder Verkaufen verlustbringender Sparten. Es besagt: Ein Unternehmensteil, der seine Wachstums- und Renditeziele nicht erreicht, soll abgestoßen oder geschlossen werden, wenn er nicht innerhalb von zwei Jahren wieder profitabel ist.

Nach diesem Prinzip straffte Welch den schwächelnden Mischkonzern und trieb GE in ungeahnte Gewinn- und Wachstumshöhen. In den zwei Dekaden seiner Amtszeit stieg der Umsatz von 27 auf 130 Mrd. Dollar und der Börsenwert von 13 auf mehr als 400 Mrd. Dollar. Welchs Nachfolger Jeffrey Immelt konnte an diese Erfolge nie wieder anknüpfen.

Dabei schauen viele Unternehmen bis heute von Welch ab. Dieser führte 1996 die vom japanischen Elektronikkonzern Motorola getestete Six-Sigma-Methode zur Qualitätskontrolle bei GE ein. Nach dieser Methode werden alle Abläufe anhand von Statistiken gemessen und bewertet, um Fehler zu minimieren. Das Verfahren orientiert sich dabei stark an den Kundenbedürfnissen. Viele Unternehmen wenden Six Sigma noch heute an, häufig in Kombination mit den Methoden des Lean Management, also der effizienten Gestaltung der Wertschöpfungskette.

Eine der umstrittensten Regeln, die Neutronen-Jack implementierte, ist die 20-70-10-Formel, oder die Regel von Sternen und Zitronen. Danach belohnte Welch die besten 20 Prozent seines Managements, die Sterne, mit üppigen Boni, förderte die breite Mitte und feuerte die schwächsten zehn Prozent, die Zitronen. GE praktizierte diese Regel jahrzehntelang in den USA. Viele Unternehmen schauten sich diese Methode ab.

Wandel ist gut, lautete eine weitere Devise von Jack Welch. Alle zwei Jahre wies er seinen Managern neue Aufgaben zu. "Theoretisch ist das eine gute Idee", sagt Rick Gilkey, Professor für Management an der renommierten Emory University in Atlanta. "Das fordert die Menschen, treibt sie zu neuen Möglichkeiten." In der Praxis allerdings habe ein Unternehmen "nach zehn Jahren viele Mitarbeiter mit jeweils nur zwei Jahren Erfahrung. Da können Veränderungen nur sehr oberflächlich greifen."

Oberste Priorität hatte für Jack Welch sowieso der Shareholder Value. Die Fokussierung darauf trieb der Manager bis zum Exzess. Als Folge hielt GE auch seine Investitionen in Innovation, Forschung und Entwicklung gemessen am Umsatz des Konzerns gering, nur um den makellosen Aktienwert nicht zu beschädigen. Welchs Nachfolger Jeff Immelt hat nun seit einigen Jahren eine Kurskorrektur eingeleitet.

Auch Welch selbst vollzog eine erstaunliche Kehrtwende, als er 2009 in einem Interview mit der "Financial Times" erklärte, das Konzept des Shareholder Value sei "die blödeste Idee der Welt". Shareholder Value sei "ein Ergebnis, keine Strategie; die wichtigsten Interessengruppen sind die eigenen Mitarbeiter, die eigenen Kunden und die eigenen Produkte."

Vielleicht, sagt Wirtschaftsprofessor Gilkey, sei Jack Welch ja rückblickend klar geworden, dass "kein Angestellter morgens aufsteht und motiviert ins Büro geht, nur weil sein Arbeitgeber einen guten Business-Plan hat". Gilkey warnt allerdings davor, Welchs gesamtes Erbe als überholt zu betrachten. Welch habe Talente erkannt, gefördert und inspiriert, "vor allem die mit einem starken Willen". Er sei für viele junge Manager ein Vorbild gewesen: "Sein Einsatz für das Unternehmen, sein Fokus auf das Wesentliche, seine Klarheit in Lob und Kritik waren schon außergewöhnlich."

Beim "Faktor Mensch" habe zugleich auch die große Schwäche des Supermanagers Jack Welch gelegen, meint Rick Gilkey. Er erinnert sich an einen Vortrag, den Welch einst an der Harvard-University hielt. Auf die Frage von Studenten, was er denn so lese, habe Welch geantwortet: "Nur Sachbücher. Keine Literatur. Niemals." Wie bedauerlich, findet Gilkey. "Literatur bündelt menschliche Erfahrung. Welch hat sich um die Chance gebracht, seine Kunden und seine Mitarbeiter wirklich kennen zu lernen."

Der Professor warnt vor einem blinden Glauben an Management-Mantras und eherne Prinzipien. "Regeln sind hilfreich. Aber sie können nur Wegmarken sein, keine Rezepte." Wirtschaftsexperten sind sich zudem einig: Die Zeit der charismatischen Unternehmens-Titanen, die keinen Widerspruch duldeten, ist vorüber. Tatsächlich folgten auf schillernde Führungsfiguren wie Carly Fiorina beim Technologie-Konzern Hewlett-Packard, Michael Eisner bei Walt Disney oder eben Jack Welch bei GE eher diskretere Chefs - von Ausnahmen wie Apple-Chef Steve Jobs abgesehen.

Die Zukunft, meint Rick Gilkey, gehöre Unternehmen mit Führungsmethoden wie sie zum Beispiel bei Google und andere Dotcoms gepflegt würden. "Da geht es nicht mehr allein um Macht, sondern um Innovation, nicht um Härte und rein numerischen Gewinn, sondern um Netzwerke und organisches Wachstum."

Jack Welch würde auf diese Analyse vermutlich ähnlich reagieren wie kürzlich auf die Frage nach grünen Technologien - mit einer Empfehlung: "Springen Sie auf den Trend auf, egal ob Sie dran glauben oder nicht. Weil der Markt es so will."
Quelle: Handelsblatt

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Vielen Dank für Ihren Kommentar!